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Midlife in Paris

information 29.11.2017 • 1081 Wörter • 0 Kommentare

Rom ist die schönste Stadt der Welt, murmele ich halblaut vor mir hin, wenn ich überwältigt von Eleganz und Chic, durch Paris laufe. In Paris habe ich nichts verloren. Das ist doppelt schade, denn das habe ich nicht meiner Arbeit in Italien, sondern meiner Faulheit zu verdanken. Als in der siebten Klasse Französisch auf dem Lehrplan stand, interessierte ich mich mehr für Bernd, den Metzgerssohn aus Bochum-Linden, als für französische Verbkonjunktion. Bernd verstand mich wortlos. Bestelle ich mir heute in Paris eine Schale Milchkaffe – womit mein Wortschatz auch fast erschöpft ist – erscheint der grimmige Ober nicht nur mit einer Rechnung über acht Euro, sondern auch mit einer Cola-Light.

Als ich schon viel zu alt dafür war, lernte ich Italienisch. Im Gegensatz zu den Franzosen sind die Italiener sehr großzügig, ja aufrichtig erfreut, wenn Ausländer mit scheußlich harter Aussprache und mangelnder Grammatikkenntnis ihre melodische Sprache verhunzen.

Ich bin jetzt komplimentverwöhnt, denn die Italiener sind höfliche Menschen, daher verletzten mich die mitleidigen Blicken der Franzosen umso mehr.

Das schönste Kompliment in Italien allerdings ist es, wenn mich ein Kellner aufgrund meines komischen Akzents für eine Französin hält. Denn im Grunde meines Herzens bin und bleibe ich Pariserin. Wäre 1970 schon das GPS erfunden worden, der Klapperstorch hätte mich an die Seine gebracht und nicht so grausam ignorant über der Wupper abgeworfen.

In Paris war ich einmal sehr glücklich. Ich hatte gerade einen halbjungen Mann kennengelernt. Obwohl er wenig Ähnlichkeit mit Alain Delon aufwies, behandelte er mich doch sehr überzeugend wie Romy Schneider. Also ich meine so, wie die Männer Romy vor allem nach „Swimmingpool“ und den ganzen Rotwein-Schmerzmittel-Cocktails auf Händen hätten tragen sollen, dringend.  Also genau so, wie es dieser aalglatte Hohlkopf Delon und auch die darauffolgenden Sportwagenfahrer nie hinbekommen haben. Nicht zu verstehen – Frauen wie Romy wurden doch selbst in den Sechzigern nicht am Fließband produziert und sind heute gänzlich aus dem menschlichen Fertigungsprozess verschwunden.

Schon klar, dass Frauen, die mit dem tollsten Haaransatz der Welt, Turban oder Häkelkappen tragen, über kurz oder lang Ärger machen müssen. Und schließlich war es auch so gewesen: Romy war plötzlich dreiundvierzig, flirtete in Talkshows mit vorbestraften Nebendarstellern und war dann auch recht überraschend, aber nicht unerwartet, ziemlich fix tot.

Aber über all das dachte ich damals, während des Liebesausflugs nach Paris, natürlich nur am Rand meines Strumpfbands entlang.

Der Mann, der mich wie einen unentdeckten, übertalentierten Filmstar behandelte, machte also alles richtig. Er lud mich nicht etwa in eine dieser, ach so angesagten Guerilla-Bars am Prenzlauer Berg ein, die je nach den Öffnungstagen Mittwoch-, Donnerstag-oder Freitags-Bar hießen und in die man sich durch Kellerluken abseilen musste (Oh Gott, ist das lange her, mir wächst bald ein grauer Bart und ein Schaukelstuhl an den Po), sondern er sprach diese verlockende Einladung aus: Sein Geburtstag in Paris – Anreise und Verpflegung inklusive.

Wir zwei Hübschen allein in der Stadt der Liebe – als Auftakt nicht neu oder originell? Geschenkt. Mich hatte damals nämlich überhaupt noch nie ein Mann weiter als bis zum nächsten Dönerstand eingeladen. Ich erinnere mich also noch wie ich dachte: Wow, wow, yeah yeah – oder umgekehrt: Jetzt gebe ich mal die Spaziergängerin von Sans-Soucis.

Mal ganz ehrlich: Jeder, der schon einmal diesen Dunkelfilm gesehen hat, kann begreifen, er muss geradezu körperliche Höllenqualen leiden bei dem Gedanken, wo die laszive Lässigkeit dieser Jahre geblieben ist.

Sie ist nämlich genau seit diesem Streifen aus dem Jahr 1982 endgültig und unwiderruflich perdu. Wir erinnern uns: Kurz darauf sah man in Film und Fernsehen nur noch Pastellfarben, die aufgekrempelten Jackett-Ärmel zweier verdeckter Ermittler aus Miami und den wogenden Truthahnbusen einer kalifornischen Rettungsschwimmerin.

Was aber trägt Romy unter dem Mantel auf dieser Brücke? Das muss man nicht fragen, dass weiß man natürlich, so gut wie Michel Piccoli. Ich sag mal: wenig.

Wie es der Zufall wollte, besaß ich 1997 einen dünnen, schwarzen Regenmantel. Genau das richtige, wenngleich im Oktober wahrlich nicht witterungsadäquate Kleidungsstück. In diesem reiste ich also an. Wir trafen uns, aus zwei verschieden Himmelsrichtungen kommend. Er war schön warm eingemummelt, ich stand zitternd im Nordwind. Mein Flugzeug war pünktlich, seines anderthalb Stunden verspätet. Auf dem kargen Bahnsteig des RER hatte ich mir, wenngleich nicht den Tod, so doch eine veritable Grippe eingefangen. Wir wohnten auf der Île Saint-Louis in der Wohnung von Bekannten, ließen die Badewanne mit dem Erkältungsbad überlaufen, und versuchten daraufhin tagelang die Perserteppiche trocken zu föhnen. Gegenüber von dieser Wohnung lag ein Käseladen, in dem wir die teuerste Ziegenkäsepyramide unseres frisch verknüpften Lebens kauften.

Neulich war ich mal wieder für einen Tag in Paris. Den Käseladen gab es noch, er hatte sich so wenig verändert wie sein Sortiment. Sogar der Käseverkäufer kam mir wie ein alter Bekannter vor. Er trug eine bodenlange Schürze und verstand meine Käsebestellung und auch meinen Wunsch nach einem Taxi sofort und zeigte mit dem Käsemesser aus seinem Schaufenster.

Er war anscheinend in die dralle Rezeptionistin des Hotels auf der gegenüberliegenden Straßenseite verliebt, denn er lief sogleich mit mir zu dem Hotel und bat die Angebetete, mir zu helfen. Dann trat er in den Hintergrund, neben einen schweren Brokat-Vorhang und himmelte diese Rosa Marzipan aus der Entfernung weiter an. Durch das Fenster behielt er dabei gleichzeitig sein Geschäft im Auge. Betrat ein Kunde seinen Laden, überquerte er schnell wieder die Gasse, hobelte geschwind ein wenig Mönchskopf ab und eilte dann erneut in die Hotellobby, wo er seinen angestammten Platz einnahm und Blicke wie farbenfrohe Blumenbouquets in Richtung der Angebeteten warf. So schien das den ganzen Tag zu gehen.

Eine Szene wie aus einem Film von Chabrol. Die Empfangsdame nickte freundlich, bedankte sich bei Antoine und ignorierte ihn darauf. Würde er sie je zu einem Date auffordern? Ausgeschlossen. Sie würde ihn nie erhören, das musste auch der Käsemann wissen, denn die ganze Szenerie war in das warme Licht einer leise knisternden Vergeblichkeit getaucht.

Diesen Kurzfilm im Kopf, verließ ich Paris. Frau und Mann im Wechselspiel des Begehrens, die Welt als Bühne – wie charmant mir das in Frankreich erschienen war.

In Rom gelandet, betrat ich die theatralisch expressive Fellini- und Rossini-Welt. Schon am Gepäckband sah ich eine Frau mit wallender Haarpracht, die mit weit ausholenden Gebärden auf ihren dünnen Mann einredete. Ein Trottel sei er, ein Muttersöhnchen. Sie rollte die Augen himmelwärts und trat mit ihren Tigerpumps gegen das Gepäckband.

Der vermisste Koffer schien sich offensichtlich in dem persönlichen Zuständigkeitsbereich ihres Ehemanns befunden zu haben.

Rom ist die schönste Stadt der Welt, murmelte ich, als ich ins Taxi stieg. Dankbar dafür, nicht in Berlin-Schönefeld gelandet zu sein, ertrug ich die Einsicht, der Pariser Eleganz in diesem Leben wohl nie mehr gewachsen zu sein, schon deutlich besser.

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